S. H.

Agile Mythen Teil 2 - Das Daily Scrum ist Zeitverschwendung (oder: Daily, aber richtig!)

Geschrieben von Sven Hary veröffentlich am in der Kategorie Allgemein, Agiles Arbeiten
Neulich lernte ich bei einer Veranstaltung jemanden kennen, der seit ein paar Monaten als Scrum Master arbeitet. Wir unterhielten uns über die Herausforderungen als Scrum Master und wie wir unseren Alltag meistern.
Er: "Mein Team hat sich effizientere Sprints gewünscht. Also haben wir bei einer Retro beschlossen, weniger Meetings zu haben."

Ich: "Interessant. Welche zusätzlichen Meetings hattet ihr denn, die nicht im Scrum Guide stehen?"

Er: "Gar keins. Wir halten uns strikt an die Scrum-Vorgaben und haben beschlossen, dass wir die Daily Scrums nur noch montags und donnerstags machen, damit die Entwickler nicht aus ihrem Flow herausgerissen werden."

Ich: "Oh - aber das Daily Scrum ist doch einer der wichtigsten Termine in Scrum, das täglich zur Absprache des Teams genutzt wird, deshalb heißt es ja "Daily"."

Er: "Aber wir haben dadurch über sieben Stunden mehr Entwicklerzeit pro Woche. Unser Team besteht aus sieben Entwicklern. Und ich kann mich dann auch mehr um mein zweites Team kümmern."


Hier nun meine Gedanken zum (Un-)Sinn des Daily Scrums (alternativ auch nur "Daily", "Standup", oder "Daily Standup", etc. genannt):


Das Daily Scrum frisst viel Zeit

Das Entwicklungsteam aus 6 Mitarbeitern trifft sich pro Tag 15min und "spricht" – pro zwei Wochen Sprint kommen also 10 Arbeitstage x 15 Minuten x 6 Mitarbeiter = 900 Minuten, also 15 Stunden (!) zusammen. Klar, dass der, der das Team bezahlen muss, zwei Mal darüber nachdenkt, ob das nötig ist. Es wird nicht einfacher, wenn man als Dienstleister mit seinem Kunden auf einer Stunden-Basis zusammenarbeitet und diese Zeit berechnen muss.

Wie also lässt sich das Daily rechtfertigen? Reicht es nicht, einmal in der Woche die anfallenden Aufgaben zu verteilen? Das Team weiß doch durch das Sprint Planning eh, was zu tun ist, oder?

Hier sind drei Punkte, die mir besonders wichtig sind:

1. Das Daily Scrum ist kein Status-Report-Meeting

2. Das Daily Scrum spült schnell Hindernisse an die Oberfläche

3. Das Daily Scrum erhöht das Verständnis füreinander

==> Das Daily Scrum fördert die Eigenverantwortung und sorgt für eine gute Zusammenarbeit.


Das Daily Scrum ist kein Status-Report-Meeting

Einige Dailies laufen ab, wie klassische Status-Report-Meetings: wo stehen wir, was habe ich gestern getan, warum habe ich etwas nicht geschafft, etc. Dies wird meistens einer Person (dem Scrum Master oder - falls vorhanden - einem Projektmanager) berichtet, der die Infos "abnickt".

Das ist nicht im Sinne des Daily Scrums.

"The Daily Scrum is a 15-minute time-boxed event for the Development Team to synchronize activities and create a plan for the next 24 hours."

Der Scrum Guide redet hier von synchronisieren und planen. Es geht also darum, dass das Team abspricht, was als nächstes zu tun ist und wer was übernimmt. Das Team prüft den bisherigen Status der Entwicklung im Hinblick auf das Sprint-Ziel und kann ggf. Änderungen an der Planung/der nächsten Schritte vornehmen.

Es geht nicht darum, festzustellen, wer was gemacht hat (auch wichtig, aber zweitrangig), sondern täglich einzuschätzen, ob das Sprint-Ziel mit den geplanten Aufgaben im Backlog (noch) zu erreichen ist.

Das geschieht am besten, wenn das Daily Scrum vor dem Task-Board stattfindet, was leider nicht immer Standard ist. Weiterhin bespricht das Team, welche Dinge als nächstes wichtig sind und wie sie angegangen werden sollen. Nach dem Daily weiß also jeder, woran er und das Team arbeitet.

Wenn dein Daily eher aus gesprochenen Tagebucheinträgen und Entschuldigungen der einzelnen Devs besteht, ist es höchste Zeit, das Daily zu "rebooten" und an die Fragen aus dem Scrum Guide zu erinnern:

1. "Was habe ich seit dem letzten Daily erreicht, was uns dem Sprint-Ziel näher bringt?" (NICHT: "Was habe ich seit dem letzten Daily gemacht"!!!)

2. "Was werde ich heute tun, damit das Team dem Sprint-Ziel näher kommt?"(NICHT: "Ich gehe heute zum Arzt, dann bin ich im Home-Office")


Das Daily Scrum spült schnell Hindernisse an die Oberfläche

3. "Diese Hindernisse sehe ich bei mir oder dem Team, die uns hindern, das Sprint-Ziel zu erreichen." (Also nicht nur auf mich gucken, sondern das Team im Blick haben!)

Die dritte Frage wird gerne weggelassen, weil offensichtliche Probleme eher selten auftreten und weil wir in unserem Alltagsgeschäft nicht gelernt haben, Hindernisse als solche zu benennen. Wahrscheinlich auch deshalb, weil wir zu oft bemerkt haben: es ändert sich nichts, wenn ich etwas anspreche.
Doch dafür, dass sich was ändert, ist der Scrum Master da. Er hilft dem Team, Impediments zu identifizieren und auch dabei, sie zu beheben. Wenn das einmal in den Köpfen verankert ist ("Ich kann dazu beitragen, dass sich was zum Positiven ändert!"), wirst du überrascht sein, wie viele Impediments zum Vorschein kommen.

Da das dann täglich geschieht, kann auch "tagesaktuell" daran gearbeitet werden, dass das Team produktiver wird. Wenn das kein Grund für ein Daily ist. ;)


Das Daily Scrum erhöht das Verständnis füreinander

Während des Daily Scrums spricht sich das ganze Team darüber ab, wie es in den nächsten 24 Stunden weiter am Sprint-Ziel arbeitet. Was zu tun ist, wer mit wem an welchem Task arbeitet. Da das ganze cross-funktionale und teilweise auch interdisziplinäre Team zusammensteht, wächst das Verständnis für die Aufgaben und Schwerpunkte der anderen. Wenn ab und zu ein Kunde beim Daily dabei ist (als stiller Beobachter!) – wir versuchen das 1-2 x pro Woche – erhöht das das gegenseitige Verständnis enorm. Wir haben bisher sowohl von den Teams als auch von den Kunden nur positives Feedback dazu erhalten.

 

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Das "perfekte" Daily Scrum

Wie also sieht das "perfekte" Daily Scrum aus? Bei uns hat sich Folgendes bewährt (inkl. der Standards aus dem Scrum Guide):

Das Daily Scrum

1. … findet immer zur gleichen Zeit am gleichen Ort statt (das reduziert Orga-Aufwand)

2. … startet immer pünktlich. Wir wollen nicht die bestrafen, die pünktlich sind.

3. … findet immer statt. Ist jemand verhindert, gibt er die Antworten auf die drei Fragen schriftlich an das Team.

4. … findet immer im Stehen statt. Das erhöht die Aufmerksamkeit und sorgt für konzentriertes Sprechen/Zuhören.

5. … findet OHNE Handy in der Hand statt.

6. … findet in einem Kreis stehend statt.

7. … wird nicht von einer Person "geleitet" - auch nicht vom Scrum Master. Das Team spricht miteinander!

8. … findet immer vor dem Task-Board statt (egal ob digital oder physisch). Das schafft Überblick und hilft das Sprint-Ziel im Auge zu behalten.

9. … wird benutzt, um neue Tasks in Progress zu ziehen oder erledigte Stories zu schließen. Und das zu feiern ;)

10. … ist immer von den Teilnehmern vorbereitet:

    1. Task-Board ist aktuell

    2. Jeder weiß, was er tut, wenn der aktuelle Task abgeschlossen ist

11. … wird durch die Beantwortung der drei Fragen gestaltet

    1. "Was habe ich seit dem letzten Daily erreicht, was uns dem Sprint-Ziel näher bringt?"

    2. "Was werde ich heute tun, damit das Team dem Sprint-Ziel näher kommt?"

    3. "Diese Hindernisse sehe ich bei mir oder dem Team, die uns hindern, das Sprint-Ziel zu erreichen."

12. … wird nicht für Detail-Diskussionen genutzt - diese finden im Anschluss mit den absolut nötigen Personen statt.

13. … wird nach 15 min beendet. Wirklich.

 

Ergebnis eines guten Daily Scrums

1. Jeder weiß, wer was als nächstes tut

2. Der Scrum Master hat neue Impediments notiert

3. Das Task-Board ist aktuell

4. Das Team hat ein Gefühl dafür, ob das Sprint-Ziel (noch) erreicht werden kann

Welche #scrumfail 's mit dem #dailyscrum habt ihr schon erlebt? Wie habt ihr sie behoben? Freue mich über Tipps und Anregungen für energiereiche Dailies!

 

 

Dieser Beitrag ist Teil der Reihe Agile Mythen

Teil 1 - Wir sind doch heute alle agil!

Teil 2 - Das Daily ist Zeitverschwendung

Teil 3 - Bei Scrum wird nicht geplant (Chaosgefahr)

Teil 4 - Retrospektiven nur nach Bedarf